Reisewarnung als Politikum

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19.03.2014 07:05
Kategorie: News

Jetzt wird’s eng in Ägypten

Ägypten
Leere Hotels, leere Tauchbasen, keine Flüge – der Tourismus in Ägypten -speziell am Sinai- liegt am Boden und das deutsche Auswärtige Amt hält an seiner Teilreisewarnung für die Region des Sinai fest. Nun ist die Zeit der Schuldzuweisungen gekommen.

(hap) Die Nerven liegen blank am Roten Meer. Wer gelaubt hat, dass mit der Beruhigung in den letzten Wochen und den anstehenden Neuwahlen der Weg zur Normalität geebnet sei und Ägypten aus dem Taumel der Ereignisse heraus findet, irrt.

Rolf Schmidt, seit mehr als 40 Jahren mit den Sinai Divers in Ägypten tätig, hatte zu Taucher.Net kürzlich schon gesagt: "Wenn jetzt nicht schnell eine Normalisierung eintritt, werden wir wohl unsere Basen bis auf eine, schließen müssen". Klar auch, dass man mit gutem Willen allein einen kostenintensiven Betrieb wie eine Tauchbasis nicht aufrecht erhalten kann.

Fakt ist, dass fast alle Tauchbasenbetreiber in Ägypten den verschärften Reisehinweis des deutschen Auswärtigen Amts für den Sinai nicht nachvollziehen können und sich dadurch in ihrer Existenz bedroht fühlen. Und auch die Ägyptische Regierung schlägt in dieselbe Kerbe: Tourismusminister Hisham Zaazou beklagte sich in Berlin über das ungewöhnlich harte Verhalten der Deutschen. Auf der ägyptischen  Presskonferenz anlässlich der Tourismusmesse ITB fragte der Minister vor knapp zwei Wochen, warum England und Russland zum Beispiel nichts geändert hätten, Deutschland aber sehr scharf reagiert habe. Er monierte, dass die Deutschen Behörden nicht den Kontakt zu den ägyptischen Dienststellen gesucht hätten und nicht, wie andere Staaten, ein Sicherheitsteam nach Sharm geschickt hätten, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen.

Seinen Ausführungen zufolge sei Ägypten trotz des Anschlages auf den Touristenbus in Taba an der Nordgrenze zu Israel ein sicheres Reiseland. Diese Einschätzung teilt das Auswärtige Amt der Bundesrepublik offenbar nicht, denn es rät in dem seit 26. Februar unverändert geltenden Reisehinweis ausdrücklich von Reisen in den gesamten Sinai ab (siehe auch Meldung zum Thema vom 28.2.2014).

"Das Auswärtige Amt stützt sich bei der Bewertung der Sicherheitslage in Ägypten auf eine Vielzahl von Informationen, die eine laufende gründliche Bewertung ermöglichen. Reise- und Sicherheitshinweise beruhen insgesamt auf den zum angegebenen Zeitpunkt verfügbaren und als vertrauenswürdig eingeschätzten Informationen des Auswärtigen Amts. Die Reise- und Sicherheitshinweise werden regelmäßig überprüft und aktualisiert", wurde Taucher.Net auf Anfrage mitgeteilt. Dass dem so ist, wurde uns auch von den großen Touristikern bestätigt, deren Experten vor Ort im Dialog und im Austausch mit dem Auswärtigen Amt stehen.
Und dennoch bleibt ein fader Beigeschmack, denn der Widerstreit der Interessen ist groß und die Situation wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus auch sehr unterschiedlich bewertet.

Donnerhall aus Ägypten

Auf die Spitze treibt es Johann Vifian, der seit 29 Jahren in Ägypten lebt und arbeitet. In einer persönlichen Stellungnahme (den kompletten offenen Brief findet ihr hier) analysiert der Miteigner und Direktor der Subex Diving Centers Red Sea gemeinsam mit seinem Sales & Marketing-Mitarbeiter Tobias Stötzel die Situation im Sinai und in Ägypten knallhart. Diese Stellungnahme zeigt, wie verhärtet die Fronten sind und wie unversöhnlich konträr die Interpretation der Lage und die daraus zu ziehenden Konsequenzen beurteilt werden. Was die beiden Tauchprofis von Subex mitteilen hört sich an wie das Wehklagen der sterbenden Radio- und Fernsehhändler die den Mediamärkten dieser Republik die Schuld an ihrem Exodus gaben. Oder zuvor die Tante-Emma-Läden, die dem Preisdruck der Lidls und Aldis unterlagen. Und nun sind in Ägypten die Reisekonzerne schuld, die das Land ausbeuten und die Touristen, die zu Schnäppchenpreisen in die Sonne fliegen. Und weil übermäßig reagiert wird, werde der Demokratisierung in Ägypten und Millionen von Ägyptern die finanzielle Grundlage entzogen, lautet ein Fazit des offenen Briefes den die beiden Tauchprofis an Tauchmedien und Kolleginnen und Kollegen der Branche sendeten.

Ein Donnerhall aus Ägypten, der sicherlich nicht ohne Resonanz bleiben wird. Denn, dass Russen und Engländer feinstofflich betrachtet etwas rudimentärer sind, was die Bewertung von Gefährdungspotenzialen betrifft, ist bekannt. Dass aber das deutsche Recht dem Verbraucher – und das sind Touristen, die bei einem Reiseveranstalter einen Reise- oder mit einer Airline einen Beförderungsvertrag abschließen – umfassender schützt und mit umfänglicheren Rechten versieht, als in jedem anderen Land Europas, sollte nicht ganz aus dem Auge gelassen werden. Und hier scheint denn auch der Knackpunkt zu legen. Liegt eine Reisewarnung oder Teilreisewarnung für ein Land oder eine Region vor und mündige deutsche Staatsbürger entscheiden für sich, dass sie trotzdem ihren Urlaub dort verbringen möchten und es passiert etwas, dann ist es fast nicht zu verstehen, warum Reiseveranstalter und Airlines in der Pflicht stehen sollen, die durch den Reisenden selbst eingebrockte Suppe für ihn auszulöffeln.

Und weil die Rechtslage so ist, und weil mit einem Reisehinweis oder einer (Teil)Reisewarnung der schwarze Peter bei den Veranstaltern landet, folgt die Reaktion zumeist sehr schnell: Reisestopp und je nach Gefährdungslage erfolgt dann auch die sofortige Rückführung der vor Ort befindlichen Touristen. Verantwortungsbewusste Wahrnehmung der Sorgfaltspflichten oder unnötige Überreaktion?

In den Badeorten des Roten Meeres war es im gesamten vergangenen Jahr vollkommen ruhig; es gab keinerlei Gefährdung. Die Vergangenheit aber zeigte auch, dass diese Ruhe trügerisch ist und es praktisch überall und jederzeit wieder zu terroristischen Zwischenfällen kommen kann.

Der ägyptische Tourismusminister Zaazou betonte in Berlin dann auch, dass sein Land nach wie vor alles tue, damit die Gäste gut geschützt seien und fügte hinzu, dass er sich zweimal pro Tag über die aktuelle Lage informieren ließe. Und weiter informierte er, dass Maßnahmen wie etwa Viedeoüberwachung und Checkpoints weiter ausgebaut werden sollen. Ob das nun aber ausreicht, um das Land als "sicher" zu bezeichnen, mag bezweifelt werden. Denn Sicherheit, das belegen die Nachrichtensendungen jeden Abend aufs Neue, ist weltweit – auch in Deutschland – nur eine relative Größe.