Ägypten - Brother Islands. Unter Brüdern

Teile:
13.08.2015 07:59
Kategorie: Reise



Es gibt nicht viele Tauchplätze, die einen ähnlichen Ruf haben wie die Brother Islands. Und keinen, der unserem Autor Linus Geschke mehr ans Herz gewachsen ist. Was auch der Grund dafür ist, dass jetzt nicht nur ein Bericht mit den besten Tauchgangsvarianten folgt – sondern eine Liebeserklärung an das beste Tauchgebiet Ägyptens.

Bericht von Linus Geschke

Lassen Sie uns über die Brothers reden. Die Brothers. Schon der Name signalisiert den Stellenwert, den diese oberhalb der Wasseroberfläche so unansehnlichen Inseln für Taucher haben. Man muss kaum jemanden erklären, was gemeint ist. Man sagt: "Die Brothers". Das genügt. Gelegen zwischen Ägypten und Saudi Arabien, ungefähr auf der Höhe von El Quseir, sind sie ein Mikrokosmos dessen, was das Rote Meer zu bieten hat. Eine konzentrierte Sehnsucht aus Hart- und Weichkorallen, Fischschwärmen, Haien, Wracks, Barrakudas und Napoleons. Oder, einfacher: Die Brothers.

Als sie unter Wasser erschlossen wurden, in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, erreichten kurze Zeit später sagenhafte Geschichten die Taucherwelt. Es waren Geschichten von Haien, denen man vom Boot aus auf den Kopf springen konnte, von mythischen Wracks, die über und über mit Korallen bewachsen am Riffhang hingen und von Fischschwärmen, die so unfassbar groß waren, dass sie einem den Blick ins Freiwasser verstellten. Die Brothers: Eines der größten Abenteuer, denen sich ein Taucher bis in die 1990er Jahre hinein stellen konnte.

Dann kamen die Massen. Immer mehr Safariboote, immer größer. Und mit ihnen auch Taucher, die – das muss man so sagen – an zwei mitten im Meer gelegenen Inseln aufgrund ihrer geringen Erfahrung nichts zu suchen hatten. Es folgten Berichte in Foren, dass die Haie weg wären, dass man eine Woche dort verbracht hätte, ohne einen einzigen gesehen zu haben. Viele behaupteten gar, die Brothers hätten ihren Reiz verloren, seien zu übertauchtem Massengut geworden. Das Ende aller Faszination?

Ich sage: Das ist Blödsinn! Sowohl das mit den Haien wie auch das mit dem Ende der Faszination. Aber ich bin auch nicht normal. Ich bin süchtig. Und gegen die Brothers-Sucht gibt es leider kein staatlich finanziertes Entzugsprogramm; da muss es ständig die volle Dosis sein. Als ich zum ersten Mal an den Inseln abtauchte, irgendwann in den frühen 90ern, war mir beim Blick unter Wasser klar, dass das hier genau das Richtige für mich ist. Seitdem bin ich über 35 Mal wiedergekommen – und es ist immer noch "meins"! Natürlich gibt es auf der Welt Plätze, die häufigere und spektakulärere Haibegegnungen ermöglichen. Aber haben sie dann auch diesen Bewuchs? Diese Steilwände? Diese Wracks? Und das alles an einem Ort? Seitdem ich für DiveInside schreibe, war ich in zig Tauchdestinationen, von denen Reiseveranstalter oder Basenbetreiber behaupten, sie würden zu den zehn besten weltweit gehören. In den meisten Fällen war dies Wunschdenken. Bei den Brothers ist es Realität. Auch heute noch.



Die Top-Tauchgänge an Big Brother


Numidia: Ein 1901 auf die Insel gelaufener Frachter von 137,4 Metern Länge, der die englische Kolonie in Indien mit Eisenbahn-Ersatzteilen versorgen sollte. Das Schiff liegt auf der Nordwestspitze von Big Brother; wie festgeklebt am steil abfallenden Riff. Es beginnt in rund zehn Meter Tiefe und endet erst weit jenseits der Sporttauchgrenze (85 Meter). Die faszinierenden Strukturen, der atemberaubende Bewuchs, der Fischreichtum – dieser Platz bietet alles im Überfluss und es wäre eine Schande, wenn man ihn im Rahmen einer Tour nicht mehrmals aufsuchen würde! Der englische Wrackexperte Ned Middleton hat die Numidia vor Jahren als eines der schönsten Wracks der Welt bezeichnet: Wer will ihm da widersprechen?

Aida: Persönlich mag ich dieses 1957 untergegangene Fracht- und Passagierschiff nicht sonderlich; gerade, seitdem weite Teile der Steuerbordseite zerfallen sind. Ich muss aber zugeben, dass es sich bei vielen anderen Tauchern ungebrochener Beliebtheit erfreut. Deshalb, der Vollständigkeit halber: Einst 75 Meter lang, beginnt die Aida heute in 63 Meter Tiefe und reicht bis auf 29 Meter hinauf. Der Bug wurde beim Untergang nahezu vollständig zerstört, der Motorblock liegt oberhalb des Wracks im Flachwasserbereich, dem man erhöhte Aufmerksamkeit schenken sollte: In den Regionen oberhalb von zehn Metern wuselt hier das Leben, toben hunderttausende Fische um die Korallenformationen.

Südplateau: Der beste Platz an Big Brother, um Fuchshaien oder Grauen Riffhaien zu begegnen – gerade, wenn man mit seinem Buddy dort alleine ist. Die beste Variante: Man taucht direkt vom Schiff aus und wendet sich der südwestlichen Ecke der Insel zu, die in ein Plateau übergeht. Zwischen mehreren Hügeln führt etwas entlang, das einem Trampelpfad gleicht. Wenn man ihm nach Süden folgt und einen der letzten beiden Hügel erreicht hat: Ruhig verhalten und abwarten! Bei aller Faszination sollte man dabei aber die Strömung im Auge behalten: Meist kommt sie aus Norden, so dass man gegen die Strömung zurück ans Riff muss – oftmals schon mit reichlich Deko auf der Uhr!

Ostseite: Gerade beim letzten Tauchgang des Tages ist diese Seite oft verwaist: Fotografen und Guides zieht es dann an die noch von der Sonne beschienene Westseite. Am besten lässt man sich mit dem Zodiac auf die Höhe des Leuchtturms (Uhrzeit: Je später, desto besser) bringen und dann mit der meist vorherrschenden Hauptströmung nach Süden treiben – sofern es die Verhältnisse zulassen, ein gutes Stück von der Riffwand entfernt. Mit ein wenig Glück sieht man hierbei Hammerhaie, Graue Riffhaie auf der Jagd und riesige Fischschwärme. Mit viel Pech: Immer noch riesige Fischschwärme.



Tauchen an den Brothers: Darauf kommt´s an!


Wie man die beiden Inseln erlebt, hat viel mit zwei Faktoren zu tun: Der wichtigere der beiden ist das Glück. Der zweite das eigene Wissen oder das des Guides an Bord. Hören Sie bloß nicht auf irgendwelche Weissagungen in Taucherforen, die immer wieder Strömung oder Wassertemperatur ins Spiel bringen – ebenso gut könnte man den Mond anbellen, um spektakuläre Begegnungen zu erzwingen.

Die meisten Haibegegnungen überhaupt hatte ich auf einer August-Safari: Wassertemperaturen wie Pipi. Und ich war auf Touren dabei, wo es wie wild strömte und die grauen Räuber dennoch nur spärlich zu sehen waren. Hat sich was mit Pauschalurteilen.

Besser ist da schon der Tipp, die Reisezeit in die Nebensaison zu legen – zu viele Boote sind des Haies Feind. Und: Entgegen der Masse zu tauchen! Wenn alle morgens ans Nordplateau wollen – nehmen Sie den Süden. Wenn mittags alle in den Süden wollen – nehmen Sie den Norden. Und wenn nachmittags alle die Sonnenseite im Westen bevorzugen, tauchen Sie im Osten. Das setzt natürlich eine flexible Bootscrew voraus und klappt nicht immer.

Und manches Mal muss man nach dem Tauchgang auch ganz stark sein: Beispielsweise dann, wenn Sie und ihr Buddy keinen einzigen Hai sahen, während alle anderen mit der Schule Hammerhaie tanzten. Doch gerade in der Ungewissheit liegt auch ein großer Teil des Reizes begründet, den dieser Spot verströmt. Es ist fast wie das Motto eines Swingerclubs – alles kann, nichts muss. Und der wichtigste Faktor bleibt das Glück.

Dieser Reiz des Ungewissen wirkt selbst auf jene, für die die beiden Brüder gleichzeitig auch Arbeitsplatz sind. Leute wie Carsten Knabe beispielsweise, Bootsmanager auf der "Longimanus": "Für mich sind die Inseln immer noch der klassische Himmel-und-Hölle-Platz. Die Brothers können launenhaft, anstrengend, herausfordernd, zickig und gefährlich sein. Und manchmal auch verdammt enttäuschend. Aber im nächsten Moment passiert dann wieder etwas, dass dich umhaut, womit du nie gerechnet hast! Ich kann jede Woche an den Brothers tauchen, ohne dass ich vom Alltagsgespenst gebissen werde. Immer, wenn du denkst, du hast alles gesehen, gibt es garantiert eine neue Überraschung, mit der du nicht gerechnet hast."

Sind die Brothers ein schwierig zu betauchendes Gebiet? Im Prinzip nicht. Man springt meist vom Zodiac und taucht dann mit dem Riff an der linken oder rechten Schulter zum Schiff zurück. Das schafft theoretisch auch ein frischgebackener OWDler, der geistig nicht das hellste Licht auf der Tauchertorte ist. Was die Brothers schwierig macht, das sind die wechselnden Umstände: Mal liegt das Meer so glatt da, als hätte es jemand mit Öl überzogen. Mal gehen die Wellen so hoch, dass schon der Einstieg vom Schiff ins Zodiac eine sportliche Herausforderung darstellt.

Genauso wie die Strömung – von "nicht vorhanden" bis "reißend" ist alles möglich; oft auch an einem einzigen Tag. "Wenn du einen guten Guide hast", sagt Carsten Knabe, "dann sind die Brothers der Platz im Roten Meer, an dem am meisten möglich ist. Hier kannst du jeden fördern, du kannst jeden fordern und auch mal bewusst an seine Grenzen führen. Der Lerneffekt ist für die meisten Taucher beträchtlich. Erreichst du die Taucher und bringst ihnen Vertrauen entgegen, bekommst du als Guide dieses Vertrauen auch wieder zurück, indem die Taucher sich auf dich einlassen. Vom Safarieinsteiger bis zum technischen Taucher sind dabei für jeden mehrere persönliche Highlights drin. Alleine die Numidia bietet alles, was du dir als Taucher wünschen kannst: Von mäßigen Tiefen bis zu den klassischen Sporttauchgrenzen, von Wrackpenetration mit großartigen Ausblicken bis hin zu technischen Tauchgängen – GROSSARTIG!"



Die Top-Tauchgänge an Little Brother


Nordplateau/"Sharkpoint": Ein auf gut 40 Meter Tiefe reichendes Plateau, welches wie eine Nase vom Riff absteht. Um hierhin zu gelangen, ist oftmals schnelles Abtauchen und ein wenig Kampf gegen die Strömung gefragt. Im Gegenzug hat der Taucher dafür allerbeste Chancen auf Großfischsichtungen, die von Hammerhaien über Fuchs- und Seidenhaien bis zu Grauen Riffhaien reichen, die dort die Dienste einer Putzerstation in Anspruch nehmen. Wenn es rein um Haisichtungen geht: Der beste Platz der Inseln!

Westseite: Die Wand der Weichkorallen, die Wand des schönsten Bewuchses, die Wand der Napoleons und Schildkröten. Nahezu senkrecht abfallend, über und über mit Schnitten, Einkerbungen und Überhängen versehen, ist sie ein wahr gewordener Tauchertraum – alles, was das Tauchen im Roten Meer beinhaltet! Auch hier ab und zu den Blick ins Freiwasser richten: Großfisch kann immer wieder mal vorbeikommen.

Ostseite: Die riesigen und imposanten Gorgonien haben in den letzten Jahren arg gelitten. Ob durch Taucher oder Umwelteinflüsse? Keine Ahnung. Der Besuch der südöstlichen Ecke lohnt dennoch: Alleine schon wegen der Mischung aus Haien, Barrakudas, Tunfischen und Makrelen, die man hier oft zu sehen bekommt. Große Fischschwärme aus Füsilieren runden das Bild ab.

Höhle: Auf der südöstlichen Ecke, genau auf der 35-Meter-Linie, liegt eine kleine Grotte. Der Boden ist mit Korallensand bedeckt, drei Taucher finden in ihr Platz, die sich am besten auf dem Sandgrund knien und dann mit dem Messer oder einem Stein an der unbewachsenen Decke kratzen. Gerade, wenn wenige andere Taucher im Wasser sind, bekommt die Gruppe dabei oftmals "Haikino" vom Feinsten geboten: Knien, schauen, staunen – einer der faszinierendsten Tauchgänge an den beiden Brüdern!



Farben wie im LSD-Rausch


Überhaupt zeigt sich die ganze Schönheit der Inseln nicht nur in der Anzahl von Haien, die man im großen Blau vor die Maske bekommt. Wer sein Augenmerk ausschließlich darauf richtet, verpasst viel: Die Riffwände, an denen das Leben tobt. Die Anthias- und Juwelenbarsche, die Papagei- und Wimpelfische, die Meerbarben, sie alle sorgen mit dem Bewuchs für ein Farbenspiel, wie es ansonsten nur ein durchgeknallter Maler im LSD-Rausch hinbekommen würde.

Wenn Schildkröten die Weichkorallen wie Brokkoli fressen, wenn Napoleonfische zentimeterdicht zum Kuscheln kommen, wenn Flötenfische an einem wie Pattex kleben, dann ist dies das Gerüst eines jeden Tauchganges, in dem Haie, Mantas und andere Großfische nur die Kirschen auf dem Kuchen sind.

Fast ebenso häufig wie die Frage nach den Haien wird die Frage nach der notwendigen Erfahrung gestellt. Offiziell sind 50 Tauchgänge das Minimum, um hier tauchen zu dürfen. Sinnvoller ist die ehrliche Beantwortung folgender Fragen: Hab ich Erfahrung mit Strömung? Mit Freiwasserabstiegen? Mit dem Tauchen an Steilwänden, die im Nichts enden? Wer dies ruhigen Gewissens mit "Ja" beantworten kann, ist reif für die Brothers. Wer 500 Tauchgänge ausschließlich in deutschen Seen absolviert hat, kann Probleme bekommen – gerade an Tagen, an denen sich die Inseln von ihrer wilden Seite zeigen.




Impressionen der wunderbaren Unterwasserwelt an den Brother Islands


Wer sich bereit dafür fühlt und bislang noch nicht da war, sollte hin. Und zwar jetzt. Denn aktuell steckt Ägypten – mal wieder – in der Krise. Und auch, wenn der Tauchtourismus davon weniger betroffen ist als die meisten anderen Tourismusarten: Selten waren in den letzten zehn Jahren die Chancen besser, sich die Inseln nicht mit 20 weiteren Schiffen teilen zu müssen. Auf unserer letzten Tour im Mai hatten wir die Brothers sogar drei Tage lang für uns alleine. Wer schon mal da war, weiß: Ein Gefühl, dass man mit Geld nicht bezahlen kann. Aber auch eines, das süchtig macht. Ich habe es Ihnen gesagt. Ich habe Sie gewarnt: Einmal angefixt, kommt man von der Droge Brothers kaum noch los.


Video zum Thema:

 


Das Video zeigt die klassische Tour: Brother Islands, Daedalus & Elphinstone. Weitere Videos zur Region sind in unserer Videothek, Bereich Big Brother zu sehen.