Gelenkprothesen und Tauchsport. Altes Eisen?

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10.12.2012 08:00
Kategorie: Medizin


Momentan ist Kindertauchen in aller Munde und Thema vieler Artikel, Gegenstand intensiver Forschung und im Interesse der Tauchindustrie (siehe dazu DiveInside Bericht Kindertauchen).

Die Altersgrenzen im Tauchsport haben sich erheblich verschoben – aber nicht nur nach unten, sondern auch nach oben, bis ins hohe Lebensalter hinein. Daraus ergeben sich zusätzliche medizinische Fragestellungen. DiveInside gibt einen Überblick, was beim Tauchen mit Gelenkprothesen zu beachten ist.


Bericht von Anke Fabian

Bei älteren Tauchern ergeben sich häufig Fragen, die, neben dem Herz-Lungen-System, oft den orthopädischen Bereich betreffen. Eine davon ist die Frage nach der Tauchtauglichkeit mit künstlichen Gelenken. Darf man damit überhaupt tauchen? Kann man im gewohnten Profil tauchen? Und wann darf man nach der Operation wieder tauchen? Ist jede Prothese gleich zu handhaben? Macht die Wahl des Materials einen Unterschied?

Prinzipiell wird der Bewegungsapparat, im Vergleich zu den luftgefüllten Körperhöhlen, sehr viel weniger von den physikalischen Gegebenheiten unter Wasser beeinflusst. Bewegung gegen den Wasserwiderstand bedeutet jedoch für Muskeln, Bänder und Gelenke eine höhere Belastung und erfordert mehr Kraftaufwand.

Auswirkungen auf Knochen und Gelenke


Die meisten der heute gebräuchlichen Dekompressions- und Austauchtabellen sowie die Rechenmodelle der Tauchcomputer basieren auf Überlegungen des englischen Physiologen John Scott Haldane. Basierend auf seinen Untersuchungen der Sättigungskinetik definierte Haldane die Halbwertszeit. Sie stellt die Zeitspanne dar, nach der das Gewebe zur Hälfte mit Stickstoff ge- oder entsättigt ist. Sie ist, in Abhängigkeit von der jeweiligen Durchblutung, für die einzelnen Gewebe unterschiedlich (siehe Tabelle unterhalb). So hat beispielsweise das Rückenmark eine Halbwertzeit von rund 12,5 Minuten, während Gelenke und Knochen erst nach 300 bis 600 Minuten zur Hälfte mit Stickstoff gesättigt bzw. wieder entsättigt sind.


Halbwertszeiten für Gewebe des Bewegungsapparates

Rückenmark - 10-20 Minuten
Muskulatur - 100-240 Minuten
Gelenke, Sehnen, Bänder - 300-600 Minuten
Knochen - 300-600 Minuten

Diese Sättigungskinetik bestimmt die möglichen Wirkungen von Pressluft auf den Bewegungsapparat. Aus der langen Halbwertzeit von Gelenken, Bändern, Knorpel und Knochen folgt, dass kritische Konzentrationen von Stickstoff, die zu Bläschenbildung führen können, erst bei sehr ausgedehnten, tiefen oder Wiederholungstauchgängen zu erwarten sind. Die langsamen Gewebe haben allerdings die geringste Toleranz gegenüber einem erhöhten Stickstoffpartialdruck. Sind die Oberflächenintervalle zwischen den Druckexpositionen bei Tauchern oder Überdruckarbeitern kürzer als die Entsättigungszeit, ergibt sich daraus eine Kumulation von Stickstoff in den langsamen Geweben. So verhält sich das also normalerweise. Und bei künstlichen Gelenken?

Künstliche Gelenke


Am häufigsten erfolgt ein Gelenkersatz in Folge von altersbedingten Abnutzungserscheinungen, schweren Gelenkverletzungen, welche die Gelenkpartner zerstört haben (posttraumatische Arthrose), bei angeborenen Gelenkdeformitäten (z.B. Hüftdysplasie) oder systemischen Erkrankungen. Am häufigsten werden Gelenkprothesen an Hüfte, Knie, Schulter und Sprunggelenk eingesetzt, selten auch im Ellbogengelenk oder im Handbereich (Fingergelenke, Handgelenk). Zunehmend häufiger stellen sich auch Taucher mit einer oder mehreren Bandscheibenprothesen in der Sprechstunde vor.


Arthrose - altersbedingte Abnutzungserscheinungen

Die Prothesen werden entweder einzementiert oder zementfrei eingesetzt. Dabei werden Materialien mit speziellen Beschichtungen verwendet, welche vom körpereigenen Knochen durchbaut und damit belastungsstabil werden. Das bedingt zumeist längere Entlastungszeiten. Der dauerhafte Halt einer Prothese entsteht – vor allem bei der nicht-zementierten Variante – durch die vom Körper neu gebildete Knochensubstanz, die die Prothese fest umschließt. Diese knöcherne Integration erfordert eine genaue Einpassung der Prothese in das Knochenlager. Dabei kann viel schiefgehen und zu Fehlstellungen der betroffenen Extremität, zu Längendifferenz oder vorzeitiger Lockerung führen.

Als Materialien für ein künstliches Gelenk werden entweder Metall (Titan oder Stahl), speziell gehärtete Kunststoffe oder Keramik verwendet und, je nach Gelenk, in verschiedenen Gleitpaarungen kombiniert. Die Auswahl des jeweiligen Prothesensystems ist abhängig von der knöchernen Situation, dem Zustand der Weichteile und den Wünschen wie auch dem Alter und Belastungsprofil des Patienten.


Verschiedene Gelenksprothesen

Konsequenzen für den Tauchsport


Betrachten wir zunächst einmal die Ausgangssituation nach einer Operation. Alle Verletzungen, schwere gesundheitliche Veränderungen oder operativen Eingriffe lösen im Körper Stressreaktionen aus. Für die Erteilung der Tauchtauglichkeit gelten einige generelle Grundsätze. Die allgemeine Leistungsfähigkeit ist nach Immobilisation (Ruhigstellung), durch Blutarmut, Schwellung und Einschränkungen der Beweglichkeit oft über einen längeren Zeitraum vermindert. Solange dies der Fall ist, darf nicht getaucht werden. Die Freigabe kann bei wiederhergestellter Leistungsfähigkeit und stabiler Ausheilung der betroffenen Weichteil- und Knochenstruktur nach Rücksprache mit dem behandelnden Orthopäden erfolgen. Sollten nach einer Operation erhebliche dauerhafte Einschränkungen der Beweglichkeit oder gar Einsteifungen vorliegen, die unter Wasser nicht kompensiert werden können, kann dennoch eine Tauchtauglichkeit im Rahmen des Handicapped Diving erzielt werden. Die Tauchtauglichkeitsuntersuchung nach Einsatz eines künstlichen Gelenks sollte von einem ausgebildeten Tauchmediziner in Zusammenarbeit mit dem Orthopäden der Nachsorge erfolgen.

Meistens haben die Menschen, die sich für ein künstliches Gelenk entscheiden, schon einen längeren Krankheits- und Leidensweg hinter sich, da in der Regel versucht wird, den Zeitpunkt der Implantation so lange wie möglich hinauszuschieben. Künstliche Gelenke haben eine begrenzte Lebensdauer. Durch eine Operation, die möglichst spät im Leben angesiedelt ist, versucht man, Wechseloperationen zu vermeiden. Eine länger andauernde, schmerzhafte Bewegungseinschränkung oder Schonung vor der Operation führt oft zu einem erheblichen Verlust an Muskelmasse und Kraft. Dies wird dann bedeutsam, wenn der Taucher wieder ins Wasser möchte und die schwache Muskulatur mit Krämpfen auf die ungewohnte Beanspruchung reagiert.


Was tun?


Was also nun, wenn man ein oder mehrere künstliche Gelenke mit sich herumträgt? Mit einer gut eingeheilten Gelenkprothese kann man prinzipiell tauchen. Dabei ist es im Hinblick auf das Tauchen egal, ob die Prothese zementiert ist oder nicht. Die Tauchtauglichkeit ist dann wieder gegeben, wenn die Prothese belastungsstabil eingeheilt ist. Eine „Übungsstabilität“ ist dafür noch nicht ausreichend! Eine gute Belastungsstabilität ist normalerweise erreicht, wenn man wieder sporttauglich ist. Der behandelnde Arzt in der Nachsorge erteilt die Freigabe je nach klinischem und radiologischem Befund (Röntgenbild).

Gibt es Risiken?


Theoretische Risiken bestehen in einer Prothesenlockerung oder Ausrenkung. Eine übermäßige Belastung kann zur Prothesenlockerung führen. Dies ist allerdings nicht unter Wasser zu erwarten, sondern eher an Land. Hier ist der bepackte Weg zum Wasser mit Flasche und Blei, der Ein- oder Ausstieg aus einem Zodiac oder Tauchboot der anspruchsvolle Teil. Eine kräftige, gelenkumspannende Muskulatur schützt die Prothese hier am besten. Ungünstige Bewegungen, die zu Ausrenkungen führen könnten, sollten vermieden werden. Hilfestellung darf großzügig angenommen werden und ist keine Schande.

Erhöhtes Deko-Risiko?


Jeder operierte Bereich kann empfindlicher auf Dekompressionsstress reagieren – die Wahrscheinlichkeit, stickstoffbedingte Probleme zu bekommen, ist hier leicht erhöht. Das hängt mit der veränderten Durchblutung im Narbenbereich und der damit gewandelten Sättigungskinetik zusammen. Narbengewebe kann durchaus ein „Stickstofffänger“ sein. Die verwendeten Werkstoffe für die Prothese spielen hier keinerlei Rolle.
Tipp: Konservativ tauchen und das Extreme vermeiden!

Muskeln und Muskelkrämpfe


Muskuläre Defizite nach längerer Verletzungspause sind häufig Ursache von Krämpfen, vor allem im Wadenbereich. Der untrainierte Muskel leidet bei ungewohnten, kräftigen Bewegungen gegen den Wasserwiderstand unter Sauerstoffmangel. Hier gibt es einige Vermeidungsstrategien:

Muskelaufbautraining durch Flossenschwimmen.
Aufwärmen der Muskeln vor einer Belastung regt die Durchblutung an.
Auskühlung vermeiden.
Umstellung auf weiche Flossenblätter oder auf Flossen, die einen günstigeren Hebel am Sprunggelenk haben.
Überprüfung des Elektrolythaushaltes (vor allem nach Operationen) durch einen Arzt.
Unkontrollierte Einnahme von Magnesium ist nicht empfehlenswert. In hoher Dosis führt Magnesium zu Muskelschwäche bis hin zu Muskellähmungen, Durchfall und Müdigkeit. Kombinationspräparate von Calcium und Magnesium sind außerdem ungünstig, da sich die beiden Komponenten gegenseitig bei der Aufnahme im Körper hemmen.


"Case Report"


Dr. med. Wolfgang Hühn
Fallbericht: Tauchen mit künstlichen Gelenken


Dr. med. Wolfgang Hühn ist Arzt für Tauch- und Überdruckmedizin und Leiter des Druckkammerzentrums Mittelhessen in Wetzlar. Er ist wissenschaftlich aktiv, berufspolitisch engagiert sowie passionierter und langjähriger Taucher mit CMAS TL** Ausbildung. Seine Expertise und Erfahrung beweist er in seiner täglichen Arbeit mit Patienten in Praxis und an der Druckkammer, mit Tauchern und in Workshops, bei praktischen Fortbildungen und in seiner berufspolitischen Tätigkeit im Verein Deutscher Druckkammern (VDD).

Seine Krankengeschichte kann all denen Mut machen, die nach der Implantation eines künstlichen Gelenkes wieder tauchen möchten.

Im Oktober 2006 erhielt Dr. Hühn, nach jahrelanger schwerster Arthrose, im rechten oberen Sprunggelenk eine Totalendoprothese des Sprungbeines. Die schwere Arthrose bedingte eine schmerzhafte Funktionseinschränkung, welche zuletzt sogar Flossenschwimmen unmöglich machte. Nach der Operation erfolgte eine drei monatige Immobilisierung (Ruhigstellung) des Gelenkes, die zu einer ausgeprägten Muskelatrophie (Muskelschwund) der Wade führte. Ab Sommer 2007 – ca. 9 Monate nach der Operation – konnte Wolfgang dann wieder mit dem Gerätetauchen beginnen. Dazwischen lagen Monate von krankengymnastischen Übungen und hartnäckigem Muskelaufbautraining. Dass dies nicht immer ein Zuckerschlecken war, kann man sich vorstellen. Aber die Mühe wurde belohnt. Im Sommer 2007 fuhr W. Hühn nach Sharm el Sheikh zum EUBS Tauchmedizin Kongress und ging in seiner Freizeit munter tauchen. Das rechte Sprunggelenk war zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschwollen, die Beweglichkeit ausreichend und die Muskulatur wieder auftrainiert.


Aufnahme der Arthrose (links) und der Talusprothese (rechts)

Ein richtiges Flossentraining konnte Wolfgang im Herbst 2007 wiederaufnehmen. Zunächst nur leicht, aber immerhin war er nun wieder regelmäßig im Wasser. Im Zeitraum von 2008 bis März 2009 erlangte er zunehmend eine volle Belastbarkeit ohne jegliche Beschwerden mit zuletzt 5-6 km wöchentlichem Flossenschwimmen.

Ostern 2009 kam dann ein erneuter Rückschlag: Ein arthritischer Einbruch des rechten Hüftkopfes mit nachfolgender Operation und Hüftkopfprothese im Mai.

Aufgrund der – durch regelmäßiges Training - gut ausgeprägten Becken- und Oberschenkelmuskulatur konnte eine beschleunigte Rehabilitation durchgeführt werden. Bereits drei Wochen nach der Operation, bei gut verheilten Wundverhältnissen, begann Wolfgang mit dem Rehabilitationstraining und sogar schon mit dem Flossenschwimmen. Selbst bei 1.000m Flossenschwimmen bestand dabei völlige Schmerzfreiheit.

Aber – die Hüfte ist leider inzwischen mehrfach ausgerenkt oder zumindest fast ausgerenkt (Luxation/Subluxation). Ausrenkungen geschehen normalerweise entweder durch Passfehler bei der Einbringung der Prothese, Muskelschwächen, durch untypische schwere Belastungen oder durch falsche Bewegungen. Bei Wolfgang luxiert die Hüfte durch eine ganz bestimmte Bewegung: bei extremer Streckung der Hüfte unter völliger Entlastung des Beines und gleichzeitiger Linksdrehung des Körpers. Also heißt es nun doch noch einmal genau hingucken – Muskeln trainieren, langsam machen – und nur nicht aufgeben.

Sicherheitshalber hat W. Hühn aus diesem Grunde nur wenige Tauchgänge mit Gerät durchgeführt und hofft auf eine Wiederaufnahme des Flossentrainings.

Dr. med. Wolfgang Hühn, Facharzt für Allgemeinmedizin
Diving & Hyberbaric Medicine Consultant (GTÜM e.V.), CMAS TL**
Lehrbeauftragter "Physiologie Tauchen" JLU Gießen
Frankfurter Strasse 90, 35578 Wetzlar
Telefon: 06441 97240
Telefax: 06441 97242
E-Mail : info@hbo-mittelhessen.de

Für Nachfragen ist Dr. Wolfgang Hühn gerne zu haben. Wer einen professionellen medizinischen Rat gepaart mit viel mitfühlendem Verständnis haben möchte, darf ihn gerne kontaktieren.