Gran Canaria. Gegen jedes Klischee

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11.08.2014 07:44
Kategorie: Reise

Wenn man an Tauchen auf den Kanaren denkt, dann denkt man an Lanzarote oder El Hierro. Vielleicht noch an Fuerteventura oder Teneriffa.

An Gran Canaria denkt dabei kaum jemand: Zu sehr haben die Bettenburgen in Playa del Inglés das Image der gesamten Insel versaut. Zu Recht? DiveInside war zu Besuch auf einer Insel, die manchem Klischee entspricht – und doch ganz anders ist.


Bericht von Linus Geschke

Am Autofenster zieht gerade Playa del Inglés vorbei, auf dem Schild an der Autobahnabfahrt steht "Maspalomas". Wollte man der Insel in diesem Moment Gutes, würde man von Bausünden reden und ein "wenig attraktiv" in den Text einbauen. Andernfalls könnte man das Ensemble aus runtergekommenen Bettenburgen, die in ihrer Form an sozialistische Plattenbauten erinnern, schlicht und einfach "hässlich" nennen. "Abwarten", meint Basenleiter Georg Wolf und zündet sich eine Marlboro an. "Das wird bald besser werden."

Zwanzig Minuten später verlässt Georg Wolf die Autobahn und steuert ein kleines Städtchen an, Puerto de Mogán. "Das hier", erzählt er mit stolzerfüllter Stimme, "ist mein Paradies!" Im Verhältnis zu Playa del Inglés ist Wolfs Heimat sicher ein Paradies – und für sich betrachtet auch ein netter Küstenort, der sich an eine Bucht schmiegt und an beiden Seiten von schroff aufragenden Felswänden begrenzt wird. Keine Spur von Menschen, die Sangria bevorzugt aus Eimern trinken, kein "Ballermann-Tourismus", stattdessen verstreut am Hang liegende Häuser, die in einem touristischen Zentrum münden, in dem man kleine Bars, Restaurants und Geschäfte findet. Alles sehr übersichtlich, sehr bunt und mit einem Hafen, der aufgrund seiner Lage sicher zu den schönsten der Kanaren gehört. Von hier aus steuert der 46-Jährige auch die Tauchspots an, die in fünf bis dreißig Minuten Fahrtzeit erreicht werden. Und er kennt sie alle: Woanders auf der Welt mögen die Gäste sagen, sie tauchen bei den Extra Divers. Hier sagen sie, sie tauchen mit Georg Wolf, der zufälliger Weise den Extra Divers angeschlossen ist. Über 11.000 Tauchgänge hat Wolf in den Waden, rund 8.500 davon hat er auf den Kanaren gemacht – es gibt hier keine Felsformation und keine Unterwasserschlucht, die er nicht kennt.

Das Boot stoppt. Schon von der Oberfläche aus kann man den Tauchplatz erkennen: Ein kleines Riff, ein Felsblock, der in 15 bis 20 Metern Wassertiefe auf dem Sandgrund liegt. Wenig spektakulär. Langeweile. Zumindest, bis man hineinspringt. Die Dünung des Atlantik ist auch in mehreren Metern Tiefe noch zu spüren, und was sie mitbringt, lässt einen fast an eine Fata Morgana glauben: Riesige Sardinenschwärme ziehen um den nackten Felsen und umhüllen die Taucher wie eine Wolke. Es müssen Tausende sein; es sind Bilder, wie man sie höchstens vom Sardine Run aus Südafrika kennt. Zwischen dem eingekerbten Felsen, der ein wenig an die Form eines Brötchens erinnert und der Wasseroberfläche tummeln sich mittelgroße Barrakudas in dreistelliger Anzahl, auf dem Grund liegen riesige Schmetterlingsrochen und Kugelfische. Gran Canaria ist weder ein einziger Meeresschutzpark noch sonst etwas in dieser Richtung: Wo kommen bloß diese unglaublichen Mengen an Fisch her? Innerhalb einer Stunde kann man den Spot mehrmals umkreisen: Die Fische bleiben – und auch der Eindruck, man mag nicht glauben, was die eigenen Augen sehen.

Dabei ist Pasito Blanco nichts Ungewöhnliches und steht eher sinnbildlich dafür, wie die Tauchgänge vor der Küste Gran Canarias generell aussehen. Was die Topografie angeht, bleibt es eher eintönig: Die meisten Spots sind flach; es gibt keine atemberaubenden Steilwände, keine spektakulären Höhlensysteme, keine ins Bodenlose abfallende Drop-Offs. Dafür tobt an nahezu allen Plätzen der Fisch. Was einen hier erschlägt, ist weder eine große Farbenpracht noch ein großer Artenreichtum – es ist die schiere Masse an Schuppentieren, die man vielleicht vor der Küste des Omans oder in Raja Ampat vermutet, nicht jedoch hier: in Europa, in Spanien, auf den Kanaren. Ganz nebenbei bekommen selbst weitgereiste Taucher unterschwellig ein bisschen Demut vermittelt: "Junge, egal was du bisher gesehen hast und wo du nicht schon überall warst – die Natur kann dich immer noch verblüffen und manchmal tut sie dies auch an Orten, an denen du am wenigsten damit rechnest."

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Selbst Georg Wolf kann nicht sagen, warum sich ausgerechnet vor dieser Kanareninsel so viel Fisch einfindet. Wahrscheinlich ist es ihm egal – der Fisch ist da, und nur das zählt. Er sieht den Begriff "Paradies" auch eher in der Kombination aus schönem Ort, fischreichen Gewässern und dem einzigen Hotel in Puerto de Mogán begründet, dass diesen Namen verdient: das Cordial Mogán Playa. Die Eckdaten sind für ein Hotel auf den Kanaren nicht ungewöhnlich: viereinhalb Sterne, achthundert Betten. Ungewöhnlich jedoch ist, wie diese Eckdaten umgesetzt wurden.

Innerhalb der weitläufigen Anlage fühlt man sich weniger wie in einem Hotel, sondern eher wie inmitten eines spanischen Dorfes untergebracht. Die zwei- bis dreistöckigen Bauten werden durch eine Gartenanlage verbunden, in der 250 Pflanzenarten beheimatet sind. Es gibt zwei Pools für die Gäste: einen mit zurückhaltender Animation, einen für Ruhesuchende. Am Rande des Geländes liegt ein Ausgrabungsfeld, dass sich jeder Gast kostenlos anschauen kann: Alte Höhlen- und Hügelgräber, in denen teilweise noch Skelette liegen.

Die Tauchbasis der Extra Divers ist ebenfalls auf dem Gelände untergebracht, unweit des größeren Pools, an dem es auch eine Snackbar und ein Fitnessstudio gibt.

Doch das wirkliche Highlight des Aufenthaltes hier wird sich nur dem offenbaren, der Halbpension gebucht hat: Was die Küche in dem geschmackvoll gestalteten Restaurantbereich auffährt, ist an Qualität und Quantität schwerlich zu überbieten. Neun Buffets halten für jeden Geschmack etwas bereit; das Angebot reicht von Lammkeule über rosa gebratenes Roastbeef bis hin zu Pasta und Pizza. Fisch gibt es jeden Tag, ebenso lokale Leckereien wie Paella oder Gemüsepfannen für Vegetarier...

Und wem das immer noch nicht genügt, der sucht das im Hotel liegende Restaurant Los Guayres auf, das von einem Sternekoch geführt wird und als bestes auf Gran Canaria gilt. Hotelgäste erhalten dort, wenn sie an dem Abend nicht am Buffet essen möchten, einen Rabatt von fünfzehn Euro. Sowas kann man sich mal gönnen – muss man aber nicht. Gerade dann nicht, wenn man in einem Hotel wohnt, dessen Küche weit über jedes bekannte Maß hinausreicht.

Von hier aus kann man mit dem Mietwagen perfekt das Hinterland erkunden. Es ist ein Teil Gran Canarias, von dem Georg Wolf sich wünscht, dass ihn mehr Touristen zu sehen bekommen. "Manchmal rede ich mit Engelszungen auf meine Taucher ein: Lasst wenigstens für einen Tag mal das Tauchen sein und schaut euch die Umgebung an! Erst wenn man das gemacht hat, kann man behaupten, Gran Canaria gesehen zu haben."

Früher hatte Mallorca ein ganz ähnliches Problem – Mallorca, das war in den Augen vieler ausschließlich der Ballermann. Erst mit der Zeit setzte sich die Erkenntnis durch, dass es auf dieser Insel auch große Bereiche gibt, die landschaftlich ganz anders sind. Pittoresker. Malerischer. Bei Gran Canaria steht diese Einsicht noch aus.

Armee der Grunzer

Vor der Küste gibt es Plätze, die aus der ansonsten eher gleichförmigen Unterwasser-Topografie herausstechen. Arinaga ist einer davon – der vielleicht bekannteste Tauchplatz der Insel und gleichzeitig ein Marineschutzpark. Hier finden Taucher, auch in Tiefen von über 30 Metern, eine bizarre Unterwasserlandschaft vor, die aus Grotten, Kaminen und Durchbrüchen besteht.

Nur am Fischreichtum ändert sich nichts: Der ist hier genauso überragend wie an den anderen Plätzen. Und dennoch meint Georg Wolf, es ginge noch besser. "Lust auf ein Wrack? Und… schon mal zwischen zwanzig- bis dreißigtausend Grunzern getaucht?"

Nicht weit vom Hafen in Puerto de Mogán entfernt liegt die Blue Bird in 45 Metern Tiefe: Ein ehemaliger Fischtrawler, vielleicht vierzig bis fünfzig Meter lang. Kein Riff links, kein Riff rechts, nur Sandboden. Das Wrack selber wäre kaum eine Erwähnung wert, wenn es nicht ein Fischmagnet sondergleichen wäre.

Nach dem Abstieg, in zwanzig Metern Tiefe, sieht man zuerst nur einen dunklen Fleck auf dem Meeresboden. Konturen sind nicht auszumachen; das ganze Wrack ist von einer einzigen Masse aus Fischleibern umhüllt. "Wir hatten sogar mal Gäste", erzählt Wolf später, "die gegen das Wrack geknallt sind, weil sie es einfach nicht gesehen haben." Es fällt schwer, den Blick von dieser Fischwand zu lösen; dennoch sollte man einen Teil der Tauchzeit der Umgebung widmen – Engelhaie sieht man hier fast immer.

Zwei Tage später geht es wieder zurück in Richtung Flughafen, vorbei an Playa del Inglés und Maspalomas. Links liegen Gewerbegebiete, rechts Bettenburgen und Windparks. Auf Gran Canaria kommt jeder Besucher auf seine Kosten: Der, der seine Klischees bestätigt haben möchte, muss nach der Landung noch nicht einmal weit fahren. Wer ein anderes Gran Canaria sehen will; eines mit kleinen Dörfern und Windmühlen, wo sich vor der Küste Fischschwärme um die besten Positionen prügeln, der fährt ein wenig weiter. Zwanzig Minuten Autobahn vielleicht, bis an der Ausfahrt "Puerto de Mogán" steht.

Video zum Thema:

Das Video zeigt verschiedene Tauchplätze im Süden und Osten der Insel Gran Canaria. Weitere Videos zur Region in unserer Videothek: Rubrik Gran Canaria.