Little Corn Island / Nicaragua. Kleine Insel, große Sehnsucht

Teile:
05.11.2015 08:20
Kategorie: Reise


Egal, wie viel man gereist ist und was man nicht schon alles gesehen hat: Manchmal kommt man an Orte, denen man sich beim besten Willen nicht sachlich nähern kann. Weil sie so außerordentlich sind, so voller Atmosphäre stecken. Orte, an denen die vielbeschworene "gute alte Zeit" genau jetzt ist.

Bericht von Linus Geschke

Es gibt sie noch: Inseln, die aus der Zeit gefallen sind. Ursprünglich, vom Pauschaltourismus unentdeckt. Mit winzigen Wegen, über die weder Autos noch Motorräder fahren. Wo frische Mangos auf dem Boden liegen, das Inselinnere einem Dschungel gleicht und die Unterkünfte noch damit Werbung machen, dass es in der Dusche heißes Wasser gibt.

Es gibt sie noch: Karibische Tauchgebiete, nahezu unberührt, in denen Ammenhaie jeden Tauchgang begleiten, wo Adlerrochen in großen Verbänden vorbeigleiten und wo man, mit ein wenig Glück, sogar große Hammerhaie vor die Maske bekommt. Plätze, an denen jeder Tauchgang einer Expedition gleicht und wo Perfektion nichts, Abenteuerlust alles bedeutet.

Es gibt sie noch: Reiseziele ohne Starbucks oder McDonald, in denen die Cafés und Restaurants nur dann W-lan haben, wenn der Wind richtig steht. Wo sich Einheimische mit Touristen vermischen, so als gehörten alle hierher; als wäre es Bestimmung, genau jetzt und hier zusammenzutreffen. Ziele, bei denen selbst weitgereiste Taucher vor der Abreise Google-Maps bemühen müssen, um zu wissen, wo sie liegen.

Little Corn Island ist eines dieser Ziele. Schon die Anreise dorthin ist abenteuerlich: Von Deutschland aus geht es zunächst in die USA, nach Atlanta, Housten oder sonst einem Drehkreuz, von wo aus der Weiterflug nach Managua startet. In der nicaraguanischen Hauptstadt steht dann erst mal eine Übernachtung an, bevor man von einem Propellerflugzeug rüber nach Big Corn Island gebracht wird, wo ein offenes Boot aus Fiberglas darauf wartet, die Besucher weiter nach Little Corn Island zu schippern. Dort angekommen, führen Wege aus festgetretenem Erdreich die Reisenden zu ihren Unterkünften. Meist sind es Backpacker, Aussteiger oder Weltenbummler und, in letzter Zeit immer häufiger, auch Taucher. Sie kommen meist nicht nur wegen des Tauchens, sondern wegen der ganzen Insel – einem der letzten Flecke, wo die Karibik heute noch ist, wie sie früher mal überall war.

Vom Anlegesteg, den sie hier etwas großspurig "Hafen" nennen, geht es zwanzig Minuten durch den Dschungel. Tropische Vögel kreischen in den Bäumen, Moskitos umschwirren einen. Dann öffnet sich das Dickicht, das Meer kommt in Sicht, eine frische Brise. Das Resort "Beach & Bungalow" gehört zu den besten der Insel, trotzdem erwarten hier weder Klimaanlage noch durchgängig Strom den Besucher. Scott, der Besitzer, ist stolz darauf, in den Duschen warmes Wasser anbieten zu können – zumindest, solange es Elektrizität gibt.

Nachdem die Koffer abgestellt sind, folgt ein erster Überblick: Ein Papagei sitzt in den Palmen, Katzen und Hunde laufen unter Hängematten durch. Der Strand sieht aus, als wäre Robinson Crusoe gerade erst gestrandet. Weitläufig, unberührt und ohne Liegen, die Touristen mit Handtüchern reserviert haben. Dann geht die Sonne unter und bringt das Meer zum Glühen. Wir genießen die volle Dosis Karibik, atmen sie ein und lassen sie langsam wieder durch die Nase entweichen, bevor wir im offenen Hotelrestaurant eine Portion Spare Ribs essen und anschließend todmüde ins Bett fallen. Der Rest ist Dunkelheit und ein Schlaf, der einer Ohnmacht gleicht.

Haie, die Hunden gleichen


Am ersten Morgen ist das Meer noch rau, der Tauchplatz nur fünf Minuten Bootsfahrt entfernt. Direkt nach dem Abstieg schlängeln sich zwei braune Körper an Schwämmen und Korallen entlang und nehmen Kurs auf die kleine Tauchgruppe: Ein Pärchen Ammenhaie, die uns bis zum Ende des Tauchgangs wie junge Hunde folgen. Mal dichter, mal weiter weg, aber ständig in Sichtweite. Sie lenken den Blick ab von den Stachelrochen, die auf dem Boden ruhen und den Lobstern, die sich in tiefen Riffspalten verstecken. Viele Fische, viele Farben. Gutes Tauchen. Alles, was ich von meinem Buddy Martin Strmiska noch sehe, ist das Aufblitzen seiner Unterwasserkamera. Er ist jetzt in seinem ganz persönlichen Tunnel gefangen, in dem er die Unterwasserwelt nur noch durch den Sucher wahrnimmt. Kein sklavisches Zusammensein mit dem Tauchpartner: Auch dies ist ein Teil der karibischen Freiheit.

Die Tauchbasis, mit der wir unterwegs sind, nennt sich Dolphin Dive und liegt gut 200 Meter vom Pier entfernt an dem einzigen befestigten Weg, den man auf der Insel findet. Drei Ausfahrten gibt es täglich: 08:30 Uhr, 11.30 Uhr und 14 Uhr. Die meisten Gäste sind Backpacker, viele Ausbildungen werden gemacht, es gibt nur wenige erfahrene Taucher. Der Laden ist für karibische Verhältnisse gut organisiert, das Leihequipment in einem brauchbaren Zustand. Ansonsten fällt mir gerade über den Besitzer Adam nur wenig Nettes ein: Martin und ich taufen ihn spontan auf "Adam, the Asshole" und halten uns fortan an den einheimischen Guide Garry, der a) ein feiner Kerl ist und mit dem b) das Tauchen außerordentlich Spaß macht, wie wir in den folgenden Tagen feststellen.

Es ist fast egal, an welchem Spot man abtaucht: Ammenhaie, Schildkröten und Barrakudas gehören überall zum Standardprogramm. Ebenso die intakten Rifflandschaften, der Fischreichtum und die auf dem Grund dösenden Stachelrochen. All dies macht Little Corn Island noch nicht zu einem „Weltklassetauchgebiet“, jedoch zu einem sehr guten – wahrscheinlich sogar eines der besten, die die Karibik zu bieten hat.

Sicherlich kann man hier jeden Tag tauchen gehen, man muss es aber nicht. Das hat nichts mit der Güte der Spots zu tun, sondern ausschließlich damit, dass die Insel selbst einfach zu interessant ist, um sie nur unter Wasser zu erkunden!


Infobox


Allgemeines:
Nicaragua liegt in Zentralamerika. Im Norden stößt das Land an Honduras, im Süden an Panama, im Osten an die Karibik, im Westen an den Pazifik.

Es ist von einer Kette aktiver Vulkane durchzogen; an den Küsten herrscht tropisches Klima. Die Corn Islands sind rund 70 Kilometer vom Festland entfernt. Neben Spanisch kommt man auch mit Englisch problemlos weiter.

Anreise:
Die Anreise erfolgt über die USA nach Managua, der Hauptstadt Nicaraguas. Hier ist eine Zwischenübernachtung nötig, dann geht es am nächsten Tag mit der einheimischen Fluglinie La Castena nach Big Corn Island weiter, gefolgt von einer halbstündigen Bootsfahrt nach Little Corn. Zur Einreise ist ein noch mindestens drei Monate lang gültiger Reisepass erforderlich.

Geld:
Die lokale Währung ist der Cordoba, wobei ein Euro ungefähr 30 Cordobas entspricht. US-Dollar werden überall problemlos akzeptiert. Tipp: Auf Little Corn gibt es keinen Geldautomaten – ausreichend Bargeld sollte mitgebracht werden (Hotels und einige Restaurants akzeptieren auch Kreditkarten). Ein guter Ort zum Geldziehen ist dann der Bankautomat im Flughafengebäude Managuas; die Wechselstuben dagegen bieten nur miese Umrechnungskurse an.

Hotel:
Das Beach & Bungalow ist eine der besten Adressen auf Little Corn und wirklich sehr empfehlenswert. Ob Bungalows, Restaurant oder Personal: Es ist fast unmöglich, sich hier nicht wohl zu fühlen. Eine preisgünstigere Alternative ist das Hotel Los Delfinos, das unmittelbar neben der Tauchschule liegt.

Tauchbasis:
Die Basis "Dolphin Dive" auf Little Corn ist gut organisiert und ausgestattet. Tauchpakete sind ebenso wie Ausbildungen (PADI) günstig zu haben. Unser Tipp: Der einheimische Guide Garry hat ein unglaubliches Auge, wenn es um Entdeckungen unter Wasser geht, ist zudem freundlich und kompetent – wer kann, sollte mit ihm tauchen.

Weitere Aktivitäten:
Das Festland Nicaraguas bietet sich für Dschungel- und Erlebnistouren an und ist leicht, günstig und sicher erkundbar. Granada und Leon sind die ältesten Kolonialstädte Mittelamerikas – drei Tage hier sind fast ein Muss. Gemeinsam mit einer örtlichen Agentur organisiert der Reiseveranstalter gerne individuell zugeschnittene Pakete.

Buchung und weitere Informationen:
Bislang sind die Corn Islands in Deutschland noch weiße Flecken. Lediglich Nautilus-Tauchreisen hat die Inseln im Angebot und kennt sie aus eigener Erfahrung; Es werden Komplettpakete und individuelle Kombinations- und Verlängerungsvarianten organisiert. Doch egal, wie gut die Vorbereitung seitens des Veranstalters auch ist: Kunden, die einen perfekt organisierten Tourismus a la Mallorca oder Ägypten erwarten, sind hier verkehrt – die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, gehört bei einem Besuch Nicaraguas zwingend dazu. Mehr Informationen und Buchung: www.nautilus-tauchreisen.de



Zeit der Entdeckungen


Der Unterwasserfotograf Martin Strmiska sagt am nächsten Morgen, dass er heute lediglich eine Stunde an dem vorgelagerten Riff schnorcheln will. Maximal. Ich wundere mich, warum seine Nase dabei nicht wächst – die Erfahrung hat gezeigt, dass ich ihn für die nächsten zwei, drei Stunden vergessen kann. Zeit genug also, um sich in Ruhe die Umgebung anzuschauen. Entlang endloser Sandstrände führt der Weg nach Norden, in Richtung "Derek´s Place". Kokosnüsse dümpeln in der sanften Brandung, gebogene Palmen spenden Schatten. Irgendwann geht der Strand in Dschungel über – keine Hostels, keine Hütten, rein gar nix. So ähnlich muss sich der Einsamgestrandete gefühlt haben. Dann ein paar Stelzenhäuser, die auf saftig grünem Gras stehen, auf dem man sich augenblicklich darauf niederlegen möchte. Ein paar Hängematten, eine winzige Tauchschule: "Derek´s Place". Irgendwann vor Jahren ist die Zeit hier stehengeblieben!

Durch dichten Dschungel führt der Weg anschließend ins Dorf zurück, der Schweiß lässt das T-Shirt am Körper kleben. Auf der linken Seite öffnet sich plötzlich das Dickicht und gibt den Blick frei auf eine kleine Obst- und Gemüseplantage; Basilikum, Ananas, Bananenstauden und Cashew-Bäume, dann ist man wieder im Wald gefangen. In den wenigen Wellblechbaracken, die unterwegs auftauchen, leben Einheimische; die kleinen Kinder laufen hier nackt herum und spielen mit selbstgebastelten Schlitten, die sie aus Plastikwannen hergestellt haben. So reich die Natur auch ist, Armut stellt in Nicaragua noch immer ein großes Problem dar – jedoch eines, das nicht mit Hunger verbunden ist.



Impressionen vom Beach & Bungalow und der Umgebung.


Zurück im Hotel - es sind drei Stunden vergangen, und Martin ist immer noch nicht zurück. Als er dann eine Stunde später auftaucht, sehen seine Hände so verschrumpelt aus wie die eines Neunzigjährigen. Er war lediglich schnorcheln, mit einer monströs großen Unterwasserkamera, und dabei hat er Wesen fotografiert, die in diesem Teil der Welt schon verloren schienen. Mehrere Graue Riffhaie und einen der weltweit selten gewordenen großen Hammerhaie. Dazu Tarpune und Schulen von Adlerrochen, die in Verbänden von mehr als 50 Tieren vorüber glitten. "Gib mir einen Rebreather und drei Stunden Zeit", grinst er, "und ich mache dir hier am Riff die besten Bilder, die du aus der Karibik bekommen kannst." Ein kurzer Blick auf das Display und die Fotos, die der Schnorchelausflug gebracht hat, und man glaubt ihm jedes Wort.

Nicaragua allgemein und die Corn Islands im Besonderen sind ein Paradies für Reisende, die noch zu den Entdeckern gehören wollen; über wie unter Wasser. Und einer jener Orte, die ihre Besucher verändern, staunend zurücklassen und eine Ahnung davon vermitteln, wie die Welt einmal war.


Video zum Thema:

 



Tauchen an Little Corn Island... manchmal hat man sogar richtig Glück wie dieser Videograph, der Hammerhaie filmen konnte...


Ein herzliches Danke an Martin Strmiska für die Bereitstellung der Unterwasserbilder.