Tauchexpedition nach Grönland. Ein Gespür für Eis

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20.02.2014 12:14
Kategorie: Reise


Tasiilaq ist ein Ort, von dem die meisten nur möglichst schnell weg wollen. Weg ins ewige Eis, weg auf den Spuren großer Entdecker. Für Taucher gilt dies nicht: Für sie ist Tasiilaq das Ziel auf ihrem Weg zu weißen Giganten und Meeressäugern, die einem die Tränen in die Augen treiben.

Bericht von Linus Geschke

Wer nach Tasiilaq kommt, will meistens nur weg. Weg über das ewige Eis, hin zu den Routen der großen Entdecker. In dem 2.500-Seelen-Örtchen prallen Abenteurer und Extremsportler aufeinander, Manager auf Sinnsuche oder Menschen, denen ein Urlaub auf Bali viel zu banal erscheint. Nach Tasiilaq, soviel scheint klar, kommt keiner, um zu bleiben. Nur Taucher – aber die sind bekanntlich ja eh immer anders. Sie kommen, um mit Sven Gust zu tauchen, dem Inhaber der "Northern Explorers".

Für den "Kaltwasser-Experten" ist das an Grönlands Ostküste gelegene Dorf mit den bunten Holzhäuschen, den zackigen Berggipfeln und den in der Bucht schwimmenden Eisbergen bereits das Ziel. Und anders als die meisten anderen will er auch nicht auf das Eis, sondern darunter – genauer gesagt unter die Eisberge, die majestätisch vor der Küste treiben. Maximal sechs Teilnehmer nimmt er auf seinen Touren mit, viele Fotografen und Filmer sind darunter, aber auch erfahrene Taucher, die sich hier einen weißen Lebenstraum erfüllen wollen.

Dann geht es raus. In einem acht Meter langen Kabinenboot. Alle haben Trockentauchanzüge dabei, alle tauchen mit zwei Atemreglern. Die Kälte, ist klar. Bei Wassertemperaturen, die nur knapp über die Nullgradgrenze hinaus kommen, wäre alles andere auch Blödsinn. Hier findet man keine Anfänger, keine frisch gebackenen OWDler. Wer nach Grönland kommt, hat zumeist schon viel gesehen. Es ist der Reiz des Neuen, der zieht. Die Entdeckung einer weitestgehend unentdeckten Welt. Die Stille. Die Wale. Die Eisberge.

Wie ein lebendes Wesen


Gust arbeitet vor Ort mit Lars Anker Moller zusammen, einem Dänen, der seit 2001 auf Grönland lebt. Zuerst war er Briefmarkenhändler, dann Robbenjäger. Heute lebt er vom spärlichen Tourismus. Von der Vermietung zweier Holzhäuser, blau und rot gestrichen, die direkt aus einem Pippi-Langstrumpf-Film stammen könnten.

Sven Gust sorgt für die Tauchlogistik und bringt die Gäste nach Grönland, Anker Moller fährt sie hinaus und bestimmt, an welchem Eisberg getaucht werden darf. Denn Eisberg ist nicht gleich Eisberg. Jeder hat einen eigenen Charakter. Im Roman von Peter Høeg hatte Fräulein Smilla ein Gespür für Schnee, Lars Anker Moller hat es für Eis.

So ein Eisberg strahlt, aus der Ferne betrachtet, eine unglaubliche Ruhe und Friedfertigkeit aus. Aber das täuscht. Je dichter man ihm unter Wasser kommt, umso mehr spürt man das Leben, das in ihm steckt.
Er knirscht. Er knackt. Er bewegt sich. Fast wie ein atmendes Wesen und ähnlich dem Geräusch, das entsteht, wenn man zu Hause einen Eiswürfel in ein Glas lauwarme Cola fallen lässt. Und manchmal schüttelt dieses Wesen auch Teile ab, die dann mit Wucht ins Meer fallen. Es sind tonnenschwere Teile und wenn sie fallen, möchte man in diesem Moment nicht unter ihnen tauchen – oder mit einem kleinen Boot in der Nähe sein. "Stabil muss er sein, der Eisberg", sagt der Däne. Was passiert, wenn er sich mal irren sollte? Er lacht und zieht kopfschüttelnd die Augenbrauen hoch: "Das möchtest du nicht erleben."

Besonders schön ist das Eis jetzt, in den Wintermonaten. Dann ist es hart wie Stahl und die Sichtweiten in den Fjorden reichen bis zu 40 Meter weit. Aber dann gibt es keine Wale, weil die Fjorde komplett zugefroren sind und die Säuger zum atmen nicht auftauchen können. Im Sommer dagegen, wenn die Wiesen mit blühenden Weidenröschen bedeckt sind, wird es unter Wasser trüber, weil sich das schmelzende Süßwasser der Eisberge mit dem wärmeren Salzwasser des Meeres vermischt. Der Schönheit der weißen Giganten tut dies jedoch keinen Abbruch: Manche sehen aus wie überdimensionierte Golfbälle, andere haben scharfe Kanten, in denen man hunderte bizarre Muster erkennen kann. Und jeder von ihnen ist dort, wo das Eis durch die Wärme antaut, mit einer Schicht überzogen, die ihn wie glasiert erscheinen lässt. "Wer einmal in Grönland war", sagt Unterwasserfotograf Tobias Friedrich, "der will immer wieder hier hin."



Ein Wal gegen die Stille


Um vor Tasiilaq mit einem Wal zu schnorcheln, braucht aber auch ein Tobias Friedrich vor allem eines: Glück. Zum einen tauchen diese selten an der Stelle auf, an der sie zuvor abtauchten. Zum anderen schieben sie tonnenschwere Eisschollen wie Kinderspielzeug zur Seite, um die jedes Boot einen weiten Bogen macht.

Auf einen Wal muss man warten – am besten in einem der menschenleeren Fjorde, in denen die Stille ansonsten fast ohrenbetäubend ist. Mit abgeschaltetem Motor lauscht man dem Plätschern der Wellen, bis der Wal zum Luftholen an die Oberfläche kommt und mit seinem mächtigen Blas die Stille zerreißt. Es sind Momente, die einen anschließend andächtig zurücklassen und es gibt nicht wenige, denen es dabei die Tränen in die Augen treibt.

Tränen in den Augen hatte auch Sven Gust, als er begann, in Grönland Tauchexpeditionen anzubieten. Nur fünf- bis sechsmal pro Jahr ist er für jeweils eine Woche hier und dennoch hat er eine komplette Logistik dauerhaft in Tasiilaq stationiert. "Das ist immer noch billiger, als den Kompressor und die Tauchflaschen jedes Mal von Norwegen aus herüber zu bringen." Luxus dürfen die Gäste nicht erwarten, auch nicht die Servicementalität mancher tropischer Tauchbasis. "Besucher müssen sich klarmachen, dass die Einwohner Ostgrönlands bis 1884 völlig isoliert lebten. Auch heute noch sind viele Jäger und Sammler. Das hier sind keine Tauchurlaube mit Verwöhncharakter – das sind immer noch Expeditionen."



Faszination Grönland - Eisberge und Wale


Tasiilaq mag unberührt sein, ein Paradies für die Einwohner ist es nicht. Es gibt keine Industrie, keinen nennenswerten Tourismus und auch der Walfang unterliegt strengsten Restriktionen. Die Inuit leben meist vom Tauschhandel und dem wenigen, was der dänische Staat ihnen gibt – wobei man den Zahltag oft daran erkennt, dass gegen Abend Alkoholleichen auf den Bürgersteigen liegen. Die Einwohner kämpfen mit Depressionen, Identitätsverlust und einer hohen Suizidrate, gerade unter Jugendlichen. "In letzter Zeit hat sich das jedoch ein wenig gebessert.", sagt Sven Gust. "Der Tourismus hier ist im Kommen und immer mehr Inuit verdienen sich, zumindest saisonal, ein wenig als Fremdenführer oder Dienstleister dazu." Er verweist auf seinen Partner, Lars Anker Moller: Bis zu fünf Inuit arbeiten bei ihm. Es könnten bald noch mehr sein – vor allem, wenn nicht nur Besucher nach Tasiilaq kommen, die direkt wieder weg wollen.



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