Wracktauchen: Le Polynesien. So nah und doch so fern ...

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29.05.2012 09:57
Kategorie: Reise


Die meisten Taucher, die nach Malta reisen, bekommen das Wrack der SS Polynesien trotz seiner imposanten Größe niemals zu Gesicht. Der Grund: Es liegt in knapp 70 Metern Tiefe. Und so weiß auch kaum jemand, was für ein taucherischer Leckerbissen dort ruht – so nah und doch für die meisten unerreichbar.

Bericht von Rene Heese, alias diverhans

Das Wrack der "Polynesien" ist zu einem international beliebten Tauchziel für erfahrene Wracktaucher geworden. Die exponierte Lage, die extreme Tauchtiefe und der Umstand, dass reguläre Ausfahrten durch heimische Tauchbasen nicht durchgeführt werden, sorgen dafür, dass der Besucherstrom recht übersichtlich bleibt. Diesen Gegebenheiten ist es zu verdanken, dass an Oberdeck bei näherem Hinsehen reichlich ehemals gelbgolden und nun grün schimmerndes Messing zu entdecken ist und sich im Inneren (noch) zahlreiche Porzellanstücke befinden – mit einer dünnen Sedimentschicht überzogen in den beinahe unberührten Räumen tief im Schiffsinneren. Strukturell ist das Wrack für seine inzwischen knapp 94 Jahre dem Verfall preisgegebenen Daseins im tiefen Blaugrau des Mittelmeeres im Bestzustand. Es liegt nach Backbord geneigt auf Sandgrund in 68 Metern Tiefe und ist im Bereich des Maschinenraums auseinandergebrochen.

Malta ist ein beliebtes Nahziel und in nur knapp drei Flugstunden von Deutschland aus zu erreichen. Etwa 45 Tauchbasen bieten Leihequipment, teilweise bis hin zur selbst bestimmten Mischgasfüllung an. Ein Mietwagen ist unerlässlich, wenn nicht nur auf das planmäßige Ausflugsangebot der jeweiligen Tauchbasis zurückgegriffen werden soll. Das "freie Tauchen" darf derzeit auf Malta unter Vorlage eines höher qualifizierenden Brevets, eines Tauchtauglichkeitsnachweises und eines Augenzwinkerns nach wie vor praktiziert werden. Ein nennenswerter Erfahrungsschatz über solokompetentes Tauchen mit Partner am und/oder im Wrack ist eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen.

Das Wrack

Die SS Polynesien

Steckbrief
Länge: 152,45 m
Breite: 15,08 m
Vermessung: 6.659 BRT (GRT)
Wasserverdrängung: 10.300 t
Rumpffarbe: schwarz, ein weißer Anstrich in den Jahren 1895 bis 1905
Antrieb: eine Dreifach-Expansions-Dampfmaschine mit 7.500 PS auf eine Schraube wirkend, zwei Schornsteine
Geschwindigkeit: 17,5 Knoten
Passagierkapazität: 172 erste Klasse, 71 zweite Klasse, 109 dritte Klasse

Historie
18. April 1890: in La Ciotat, Frankreich, vom Stapel gelaufen
3. Januar 1891: Aufnahme Liniendienst nach Australien
14. September 1903: gestrandet nahe Fort St. Jean in Marseille, kann aber innerhalb von vier Tagen wieder flott gemacht werden
Ab 1903 Fernost-Liniendienst
Ab 1914 Einsatz als Truppentransporter
10. August 1918: im Kanal von Malta, etwa 1,5 Seemeilen östlich Zonqor-Point durch das deutsche U-Boot "UC22" torpediert und gesunken
Quelle: www.messageries-maritimes.org

Tauchplatzeintrag auf Taucher.Net: SS Le Polynesien


Der Brückenaufbau ist verschwunden, ebenso die schlanken Schlote aus dünnem Stahlblech. Die gewaltige Bug- und die Heckkanone zur Selbstverteidigung zeigen sich auf den ersten Blick beinahe einsatzbereit. Die drei Masten sind nach Backbord gefallen und passen sich allmählich ihrem festen Untergrund an – sie knicken merklich durch. Die achterlichen Deckshäuser stehen noch als Gerüst, ihre Unterkonstruktion ist leider vor etwa sieben Jahren zusammengebrochen und ein Gewirr von verbogenem Stahl verdeckt das teilweise gut erhaltene Holzhauptdeck.

Der vordere Teil des Schiffsrumpfs ist etwa 45°, der hintere Teil etwa 20° nach Backbord geneigt. In der Mitte scheint das Wrack durchzuhängen. An der konstruktiv schwächsten Stelle – dem Maschinenraum – sind das Deck teilweise und die Deckshäuser gänzlich ein- beziehungsweise zusammengebrochen. An der Bruchkante, Blickrichtung nach vorn, zur ehemaligen Brücke, ist das Hauptdeck wieder hoch aufragend. Ein gespenstischer Anblick!

Im Bereich der klaffenden Bruchkante bieten sich gute Penetrationsmöglichkeiten in die vorderen unteren Decks. Die vom Rostfraß durchlöcherten Schottwände mahnen zur Vorsicht. Dennoch ist ein Penetrieren mit angelegten Stage-Tanks rechts und/oder links unter Vorsicht möglich. Hier sind auf den ersten Blick Teller für Mannschaftsdienstgrade und Truppen zahlreich zu erspähen. Einfacher gestaltet sich die Penetration im Bereich des Vorschiffs über das Hauptdeck. Es genügt, durch offene Luken vertikal einzusteigen. Die Tischfundamente – fixiert am Decksboden – sind noch alle vorhanden. Das Blaugrau des Mittelmeeres strahlt an Tagen mit guter Sicht, die im Frühjahr durchaus bis 40 Meter Horizontalsicht am Wrack betragen kann, durch die intakten Bullaugen. Dennoch ist eine 50-Watt-Tauchlampe ein Muss! Das Innere der vorderen Sektion scheint aufgeräumt. Reichlich verbautes Holz hat sich zersetzt und es bleibt erstaunlich viel Bewegungsfreiheit bei komplett angelegter Tauchausrüstung. Dennoch sind unscheinbare Schnüre und Kabel wie auch spitzes und scharfkantig korrodiertes Metall eine stete Gefahr für ein Hängenbleiben im Wrack.

Ein Penetrieren des Maschinenraumes ist nur etwas für unerschrockene oder lebensmüde Wracktauchfreaks. Ich rate davon ab, wenngleich dies wohl der unberührteste Teil des Wracks ist. Das letzte Drittel der "Polynesien" lässt sich für professionelle Wracktaucher an wenigen Stellen über das Hauptdeck penetrieren. Direkt an der letzten Ladeluke ist kurz nach Entdeckung des Wracks für eine "Nacht-und-Nebel-Bergeaktion" von Artefakten backbordseitig das hölzerne Hauptdeck quadratisch eröffnet worden. Mit angelegten Stagetanks ist das ebenfalls nur etwas für den Freak. Zwischen Heckkanone und letzter Ladeluke ist eine weitere Öffnung mittschiffs zu finden, durch die der professionelle Wracktaucher recht bequem ein- und aussteigen kann. Man bedenke: Hier zu penetrieren beinhaltet, dass Einstieg gleich Ausstieg ist –quasi eine Einbahnstraße mit Wendemöglichkeit im Inneren.

In diesem Salon – auch hier sind die hölzernen Trennwände verrottet – sind zahlreiche Betten für die Truppen in bestem Erhaltungszustand zu sehen. Unmengen von Waschschüsseln, viele Teller, einige wenige Porzellanseifendosen, selten Tassen, viele Fragmente von Lampen und Ventilatoren, vereinzelt Holzwandreste und Schrankfragmente, Kleiderständer und vieles mehr bieten sich dem Betrachter. Wenige Taucher haben sich bisher hier hinein getraut, deshalb ist kaum gewendetes Geschirr zu finden. Alles, was erst aus spät verrotteten Schränken niedersank ,ist mit einer dünnen Sedimentschicht überzogen und erscheint unberührt. Ein Traum für jeden Wracktaucher, der das Handwerk des Penetrationstauchens in der Tiefe versteht. Ein wahr gewordener Traum für den, der die ersten "Titanic"-Bilder im Fernsehen 1986 mit leuchtenden Augen verfolgt hat und sich wünschte, einmal so etwas live zu erleben.



Ein Trugschluss ist es zu glauben, man könne sich in die (eigentlichen) Laderäumschächte sinken lassen, um sich von dort aus durch die nun teilweise verbogenen vertikalen Schutzstreben zu mogeln und in die Passagierdecks zu gelangen. Das klappt selbst mit nur einem Monotank auf den Rücken nicht – zu eng! Dieses gilt es bei Penetrationsvorhaben im Bereich Achterschiff zu bedenken; kein Entkommen an diesen Stellen aus dem Schiffsinneren, auch wenn es auf den ersten, getrübten Blick so aussieht.

Weitere Infos

Zur Tauchgangsvor- oder nachbereitung empfiehlt sich das DVD-Set "Die Malta Wracks" von Rene Heese (diverhans). Mit einer Spieldauer von etwa vier Stunden auf vier DVDs werden die 12 beliebtesten Wracks vor Maltas Küste in einer Art visuellem Tauchführer chronologisch gezeigt. Auch die "Polynesien" ist ausführlich gefilmt. Allein dieser Teil beträgt 55:34 Minuten. Erhältlich unter: www.amazon.de oder direkt bei Rene Heese unter: diverhans@web.de.

Logistik

Eine eigene professionelle Tauchausrüstung mit Redundanzcharakter sollte mitgebracht werden. Atemgasflaschen für Grundgemisch und Deko, Blei und die (Misch-)Atemgase selbst sind an ausgewählten Tauchbasen zu bekommen. Mischgasfüllungen sind relativ teuer. Eine Doppel-12er-Füllung leichtes TMX 19/35 mit etwa 220 bar Fülldruck (kalt) liegt bei ungefähr 120,00 Euro. Zurzeit gibt es nur einen Direktanbieter, der die "Polynesien" und weitere Wracks anfährt, nämlich Kevin J. Vella von Galaxy Charters Malta (Kontakt: www.galaxy-charters.com). Zu den Hochsaisonzeiten in den Monaten Juli und August ist es manchmal erforderlich, rechtzeitig eine Halbtags-Charter bei Kevin zu buchen, da er mit seinem Boot oftmals auch zu reinen Besichtigungstouren von Pauschaltouristengruppen gebucht wird. Schnell haben da 300,00 Euro den Besitzer gewechselt, und so kann ein einziger Tauchgang zur "Polynesien" die Urlaubskasse sprengen. Da Kevin punktgenau die Abtauchleine setzen kann, bekommt man, was man will: Vorschiff, Mittschiff oder Achterschiff. Und so sollte man schon drei Tauchgänge durchführen, um behaupten zu können: "Ich war an der Polynesien".

Fazit

Das gut erhaltene und dem optischen Eindruck nach unberührte Wrack des ehemaligen Passagierschiffes und späteren Truppentransporters "Polynesien" aus dem Jahr 1890 mit 152 Metern Schiffslänge ist einer der weltweiten Top-Spots des ambitionierten Wracktauchens. Die exponierte Lage, ein einziger Anbieter, oftmals schlechtes Wetter, eine zeitweise bis zu fünf Knoten starke Strömung am Wrack und launische Sichtverhältnisse machen einen längeren zusammenhängenden Aufenthalt auf Malta erforderlich, um den Tag der optimalen Randbedingungen abzufassen. Ein Tauchgang zum Wrack kann ein extrem teures Unterfangen werden, wenn sich nicht zehn Taucher finden, die sich eine Halbtages-Charter teilen. Der Lohn ist bei guter Vorbereitung ein einzigartiges Erlebnis der Extraklasse.



Video zum Thema:

 


Eine Vielzahl weiterer Malta Tauchvideos in unserer Videothek (Malta).