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Einfluss von Körpertemperatur auf (Ent-)Sättigung

Hallo meine lieben Freunde der wilden Diskussion!

Mir liegt da ein Thema auf dem Herzen bei dem ich mir nicht so ganz einig bin.

In einem Sachbuch zum Thema Tauchen fand ich sinngemäß etwa folgende Aussage (da ich das Buch gerade nicht zur Hand habe, vorerst mal keinen Namen - tut aber auch nichts zur Sache):

Aussage: Im kalten Wasser kann durch eine zusätzliche Heizung die Dekompression verbessert werden. Diese sollte man erst bei Beginn der Dekompressionsphase einschalten. Die Wärme auf der Tiefe würde sonst auch die Aufsättigung verstärken.

Im Gegensatz dazu propagiert z.B. Santi mit seiner 55 Watt Weste ein Einschalten bereits zu Beginn des Tauchgangs. Die Wärmezufuhr ist dort eher gering, dafür aber dauerhaft.
Nebenbei ist das auch mein präferiertes (weil angenehmeres) Vorgehen. Bei einem Ausfall würden wir auf die Deko eben einen Sicherheitsaufschlag nach Pi mal Daumen geben.
Nebenbei: Ein Ausfall kann immer kompensiert werden, bitte darüber keine Belehrungen!

Nun zur Frage:
Ich verstehe, dass ein Ausfall der Heizung bei Beginn der Deko schlecht ist, da - meinem naiven, medizinisch ungeschulten Verständnis nach - der Kreislauf temperaturbedingt verlangsamt wird und Blasen schlechter "abgeatmet" werden können.

Was ich aber nicht verstehe ist wieso der Körper, wenn er warm ist, stärker aufsättigen soll?
Ist durch eine höhere Temperatur nennenswert mehr Gas im Körper? Selbst dann wäre der Innertgasdruck doch identisch?
Oder handelt es sich um einen der üblichen Fehler in der Tauch-Literatur?

Oder habe ich was grundsätzliches übersehen?

Liebe Grüße,
Oliver
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Scapegoatkann schwimmen ;-)
20.01.2014 14:34
Wenn du ohne äußere Heizung tauchst kühlt die Haut oberflächlich etwas ab, die Gefäße ziehen sich zusammen und die äußeren Hautbereiche werden weniger durchblutet, dadurch auch langsamer aufgesättigt. Heizt du hingegen wird auch die Haut dort stärker durchblutet und sättigt sich schneller auf.
Nur, in wiefern das wirklich relevant ist steht dann auf einem anderen Blatt...




20.01.2014 14:49
Ich nahm bisher an, dass lediglich der Partialdruck des Innertgases für die Aufsättigung zuständig ist und nicht die Durchblutung.
Und die Durchblutung nur einen besseren Abtransport gebildeter Blasen in der Entsättigung gewährleistet.

Ok, wenn das Blut langsamer fließt ist die Differenz zwischen dem höher und weniger hoch gesättigtem Gewebe dann etwas geringer?

Ich muss mich glaube ich nochmal tiefer in die Tauchphysiologie einarbeiten...
20.01.2014 14:56
Aha, GTÜM schreibt auch:

"Im ersten Teil des Tauchgangs, wenn die größte Tauchtiefe erreicht wird und die Extremitäten noch relativ warm und gut durchblutet sind, erfolgt eine entsprechend hohe Aufsättigung der Extremitäten-Gewebe mit N2. " -http://www.gtuem.org/990/tauchmedizin/dcs-risiken.html

Nur warum?
Scapegoatkann schwimmen ;-)
20.01.2014 15:14
@ Crocell:

Prinzipiell ist schon der Partialdruck für die Aufsättigung verantwortlich, nur:
Wenn das Gewebe schlechter durchblutet wird, kommt auch weniger Gas an, welches ins Gewebe diffundieren kann. Und wenn das Gewebe bei der Deko zu kalt ist und schlecht durchblutet wird, ist nur wenig Blut da, welches das Gas "abtransportieren" kann, daher wird es dann eher zu einer Desorption aus dem Gewebe mit Blasenbildung kommen.

Alex
EXIL - VFLerGUE Tech 1 / Cave 1
20.01.2014 15:21
Einfach gesagt beeinflusst die Temperatur die Halbertszeiten. Lange halbwertszeiten beim Auf- und kurze beim Entsättigen wären das Optimum. Das gleiche gilt für die Hydrierung. Leider wirken beide Effekte in der Praxis eher in die ungünstige Richtung.
20.01.2014 16:46
Leider nicht auf deutsch aber sehr aufschlussreich.
war eines der Themen beim letzten Rebreatherforum RF3.
hier klicken
https://www.youtube.com/watch?v=5LOD5keSul4

21.01.2014 07:17
Wärmere Flüssigkeit kann den physikalischen Grundlagen zufolge weniger gelöstes Gas aufnehmen als kalte.. und gibt sie schneller ab => sättigt wohl langsamer auf (?) und schneller ab.
Vergleiche zb warmes vs. kaltes Bier, bzw die Befürchtung der Klimatologen, dass durch die Erwärmung der Weltmeere mehr vom aktuell gelösten Methan in die Athmosphäre abgegeben wird..
Klingt also rein physikalisch gesehen unsinning, die Heizung erst am Dekobeginn zu aktivieren, ist wohl wie Mineralwasser auf die Herdplatte parken, da blaslt´s auch schön.
21.01.2014 09:17
Einige haben schon richtig geantwortet. Der relevante Einfluss ist die Veränderung des Blutfusses bei Kälte dergestalt, dass Haut und Muskeln schlechter durchblutet werden und damit der Gastransport langsamer erfolgt. Diese peripheren Gewebe werden also "langsamer".
Außerdem nimmt die Diffusion mit der Kälte ab und damit der Übertritt von Inertgas ins Blut oder ins Gewebe.

Die Heizung erst während der Deko einzuschalten halte ich für keine gute Idee, denn durch den Aufstieg wurde ja bereits die Überspannungskapazität der Gewebe fast ausgereizt. Wenn nun durch die Heizung die Durchblutung gesteigert wird, kann die Kapazität nun endgültig überschritten werden.

Man soll ja auch nach dem Tauchen nicht heiß duschen, saunen oder Sport treiben, da dadurch der Diffusionsdruck die Kapazität des Blutes und der Gewebe überschreiten kann und das DCS Risiko steigt.
21.01.2014 13:18
Kwolf hat es richtig beschrieben: Mehr Wärme bedeutet eine Erweiterung der Gefäße. Dadurch wird die Durchblutung gefördert und der Gasaustausch verbessert. Man muss sich ja nur die verschiedenen Gewebe ansehen. Die schnellen Gewebe sind am besten durchblutet, die langsamen am schlechtesten.

Eine Einschränkung würde ich trotzdem machen. Eine gute Heizung ist ganz sicher nicht mit einer heißen Dusche vergleichbar. Außerdem könnte man auch genau anders argumentieren:

Das DCS Risiko steigt, wenn man auf der Deko ernsthaft friert, weil durch die schlechtere Durchblutung ein Gasaustausch nicht mehr im ausreichenden Maße stattfinden kann.

Grüße
22.01.2014 09:52
Um die Auswirkungen von Temperatur auf Tiefe bezüglich Deko zu veranschaulichen können auch Berichte über das Tauchen in Thermalquellen helfen,
z.B. http://ppo2.at/berichte/34-tauchberichte/46-heviz.html
Hier wird doch mit einer komplett anderen Deko gearbeitet
22.01.2014 10:04
@fullcave,
stimmt. Ich würde allerdings doch empfehlen, die Heizung frühzeitig einzuschalten, spätestens am Ende der Grundzeit. Und natürlich ist frieren zu jeder Zeit ein Sicherheitsrisiko.
22.01.2014 10:41
Hallo Peter44,

endlich mal ein fundierter Artikel, dessen
Aussage sogar ich verstehe:

Zitat:
"...hat es gejuckt, war die Deko zu kurz...."

@kwolf
Kein Sport (während und )nach dem TG ist schon
klar.
Ein "bisschen" Bewegung bei den Stops dürfte aber auch nicht schaden oder sehe ich das falsch?
EXIL - VFLerGUE Tech 1 / Cave 1
22.01.2014 10:42
Peter: Klingt ja spannend, da muss ich hin.

Die Deko wird in diesem Fall verlängert, weil man warm schneller aufsättigt und kalt langsamer entsättigt. Das ist ja keine Überraschung.
22.01.2014 11:28
Erwin,
wie mit allem, jedes Extrem schadet. Man sollte bei der Deko ruhig ein bisschen rumschwimmen.

Der Organismus ist komplexer, als jedes Modell. viele Dinge haben gleichzeitig gegensätzliche Effekte. Was dann letztlich in Summe überwiegt, nennt man Erfahrung...
22.01.2014 11:42
"Man sollte bei der Deko ruhig ein bisschen rumschwimmen."

Ist leider nicht immer möglich oder sinnvoll.

Ich gehe jetzt mal vom "Trockentauchen" aus:

Die Abkühlung während der Deko ist u.a. ja deswegen so stark, weil man während des Aufstiegs notgedrungen die warme Luft aus dem Anzug geben muss. Diese Abkühlung kann der Körper nicht ohne weiteres und sofort ausgleichen, wenn man nicht das Glück einer warmen Sprungschicht hat.
Scapegoatkann schwimmen ;-)
22.01.2014 12:09
Ja, aber meistens ist es ja doch möglich, auf gleicher Tiefe sich etwas zu bewegen.
Bewegung fördert die Durchblutung, und eine leichte Bewegung hilft schon bei der Deko.
22.01.2014 13:41
Hallo und vielen Dank für die vielen Antworten!

Besonders der Link zu dem RF3 Video war sehr spannend. Auch ein Tauch-Trip nach Ungarn wird immer interessanter.

Leider war "Dekompression" wohl etwas ungenau.
Damit meinte ich tatsächlich das Ende der isobaren Phase des Tauchgangs; Sprich den Zeitpunkt an dem des Taucher den Aufstieg einleitet.
Wann genau die Entsättigung stattfindet... Je nach Modell so weit ich mich erinnere bei 85% des max. Drucks oder 75% der max. Tiefe. Gibt aber bestimmt noch andere Definitionen.

Ich fasse mal für mich zusammen:

1. Klar ist, dass eine Hypothermie auf jeden Fall zu vermeiden ist. Ganz unabhängig von der Dekompressionqualität schränkt sie auch Reaktionsfähigkeit, Beurteilungsvermögen und Koordination ein. Außerdem macht es keinen Spaß!

2. Die beste Dekomressionsqualität erreicht man, wenn die Körpertemperatur in der Sättigungsphase tiefer ist als in der Entsättigungsphase. Das zeigt sowohl das Beispiel im Thermalsee wie auch die Messungen im Video.

3. Kritisch zu bewerten ist es, wenn die Körperkerntemperatur bereits sehr stark gefallen ist und dann erst die Heizung zugeschaltet wird.

Tatsächlich ist die Durchblutung hier der entscheidende Faktor. Dass die Löslichkeit der Gase temperaturabhängig ist mag sein, aber ich vermute dass die geringen Differenzen in der Praxis eher eine untergeordnete Rolle spielen. Bei einer Herdplatte sieht das sicher anders aus.

Daraus leite ich für die Praxis ab:

Auch künftig werde ich die Heizung schon zu Beginn des Tauchgangs einschalten.

Warum?

1. Ich bin bekennendes Weichei.

2. Ohne Heizung bedeutet ja nicht, dass man bei geringer Kerntemperatur aufsättigt. Es bedeutet dass man gut aufgewärmt aufsättigt und erst während der Grundzeit abkühlt. In dem Fall hat man den schlechtesten Fall erwischt, da mit Beginn der Dekompression der Körper am kältesten ist. Mit tiefer Temperatur den Tauchgang zu beginnen ist sinnvoll, aber auch schwierig zu erreichen sofern man vorab nicht nackig schon mal in den See hüpft.

3. Die permanente Heizleistung muss sich auf einem moderaten Level bewegen, damit die Körpertemperatur lediglich aufrecht erhalten wird.

4. Bei wärmerem Wasser im oberen Bereich wird die Deko dann nochmal verbessert. Bei kaltem Oberflächenwasser im Winter ist das Dekoprofil etwas konservativer zu gestalten.

5. Kritisch ist ein Ausfall der Heizung, inbesondere wenn das Oberflächenwasser nicht wärmer ist als auf der Tiefe. Der Übergang von warm in der Sättigung zu kalt in der Entsättigung ist sehr schlecht. In diesem Fall das Dekoprofil verlängern, soweit möglich (sagt sich so leicht, schätze mal das sieht anders aus, wenn der Anzug geflutet ist...).
D.R.Taucher
22.01.2014 18:47
Moin,

wer war auf dem Tech.-Symposium und hat den Vortrag von Hans bewundert?
Heizung, Rektalsensor zur Körperkerntemperatur-Überwachung und "Propangas-betriebene-Atemgasheizung"!
Genau das Richtige bei Tauchgängen um 200m und Dauer von 19 Stunden!

Und da soll mal einer was von "Aufsättigung" sagen!

Gruß, Dirk.
23.01.2014 09:23
Hi Dirk,

Karbid. Hans, als "tauchender Höhlenforscher" heizt sein Gas mit einem Karbid-Brenner.

Und die Rektalüberwachung hat bei uns im Team einiges an spätpupertären Diskussionen über Sondengröße und Proband ausgelöst.
TheDataCMAS ***/ GUE F-Tech
23.01.2014 14:49
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit die Körperkerntemperatur relevant ist oder vielmehr die Temperatur der Extremitäten, die vielleicht in der Tiefe noch aufsättigen aber dann so auskühlen, dass sie bei der Deko nicht mehr entsättigen. Aber gut, wer sich die Rektalsonde geben möchte ;)
27.01.2014 21:24
D R
Tech Symposium? erinneren mich an einen netten Abend mit nem Vortrag von Hans zum Thema Speleologie und so bisschen Wassertreten mit dem Trilobit?
27.01.2014 22:27
Nee, Hans hat Propan gesagt.
28.01.2014 09:23
Echt?
Komisch, naja dann hatte ich wohl zu viel ppN seit dem.
Sei`s drum.
01.02.2014 12:26
Hallo Crocell,

Deine Frage vom 20.1. ist noch nicht wirklich beantwortet. (Wohl aber die tauchpraktische Relevanz...)

Kompression:
Stell Dir einen Bauer mit Schubkarre vor. Der packt sie im Schweinestall gaaaanz voll und juckelt los Richtung Misthaufen. Weil er so wackelt fällt ständig was links und rechts runter. Wenn er nun in einr halben Stunde 10 mal läuft ligt mehr am Wegrand, als wenn er nur 5 mal läuft. Und wenn Du genau hinschaust, liegt nahe am Belade-Ort mehr Mist naben dem Weg, als kurz vor dem Misthaufen. (Da hatte er nämlich nur noch weniger, was runterfallen konnte)
Das erklärt Dir als Analogon, dass viel Durchblutung mehr N2 ins Gewebe bringt. (Anzahl der Läufe = Durchblutung; Grad des Wackelns = Stickstoff-Gradient oder Partialdruck oder wie Du es auch nennen magst.) Und Du bekommst gleich noch eine Idee, dass "indirekt" durchblutetes Gewebe weniger aufsättigt weil die Schubkarre zu einem späteren Zietpunkt nur noch weniger abwerfen kann.

Dekompression:
Der Sohn des Bauern feiert Geburtstag. Als ein Spiel sollen sich alle neben dem Weg aufstellen und Bälle in die Schubkarre werfen, wärend der Bauer mit der (anfangs leeren) Schubkarre den Weg lang läuft. Am Ende schüttet er die Schubkarre im vorbeilaufen in ein Bälle-Bad aus. Weil er sich nicht die Zeit nimmt, bleiben immer noch ein paar Bälle in der Schubkarre. Er läuft einen Bogen und fängt wieder da an, wo er anfnags auch angefangen hat und die Kinder werfen wieder Bälle in die Schubkarre.
Je öfter er läuft, desto weniger Bälle sind neben dem Weg, wo die Kinder stehen. Die Kinder, die am Ende stehen werfen in die schon volle Schubkarre und werden kaum Bälle los.
In Analogie: je mehr Durchblutung, desto mehr N2 ist am Ende weg. Je langsamer die Schubkarre beim Bälle-Pool, desto leerer fängt die Schubkare die Runde immer an.


Aaalso:
Wenn das Blut langsamer fließt, dann ist die Differenz zwischen den Geweben eher größer weil die Schubkarre anfangs mehr abwirft bzw. die frühen Kinder mehr drauf werfen können.
Aber zwei Randbedingungen: Wenn der Bauer zu schnell läuft wird die Schubkarre am Bällchen-Pool nicht leer. (hoher Puls bei der Deko)
Und wenn er noch stärker zittert (Kälte/Anstrengung) landet mehr N2 im Gewebe und die Kinder schaffen es schlechter, Bälle in die Schubkarre zu werfen.

Gut Luft

FANATIC DIVER
12.02.2014 17:03
Hey FANATIC DIVER,

was für eine niedliche Erklärung, Danke!
Antwort